Diskurs | Performance Reihe | seit 05-2013
Mythos T.I.N.A. | Giovanni Leghissa
IM TOTEN WINKEL | SERIE 3 | Juni 2014 – September 2015
TINA – there is no alternative – , Maggie Thatchers berühmt berüchtigter Satz ist zum wirkmächtigen Mythos der neoliberalen Epoche geworden. Dieser Mythos frisst die Welt. In der Einfachheit seines Rationalitätsmodells, das uns aufruft, das Alte hinter uns zu lassen und zum ökonomischen Krieger zu werden, begründet sich die Kraft des Mythos. Er verdrängt alle elementaren Fragen nach dem Leben, dem Kollektiven und dem Gesellschaftlichen. Der Staat wird zur Firma. Die gute alte liberale Marktwirtschaft verschwindet. Die Rationalität des Kapitals setzt sich als Rationalität des Regierens durch. Produktion, Tausch, Akkumulation, Vermehrung des Kapitals sind nunmehr Funktionen des Regierens selbst geworden. Damit erlangen die Wirtschaftswissenschaften die zentrale Diskursmacht in unseren Gesellschaften. Leghissa beschreibt dies als Verfirmung der Gesellschaft; aus der Betriebswirtschaft adaptierte Rationalitäts- und Organisationsformen übernehmen die Domäne der Politik. Der Horizont einer Kunst des Regierens im Zeichen der Biopolitik wandelt sich zu einer ausgereiften Wissenschaft vom Lebendigen, in der sich Ökonomie und Biologie verbinden. Die Missionare der Gegenwart sind/ist die neue globale Managerklasse. Ihre frohe Botschaft, mit der sie unsere Körper und Seelen zu formen suchen, kreist um Begriffe wie Leistung, Kreativität, Unternehmergeist, Wettbewerbsfähigkeit und Good Governance. Die Sorge um das Leben der Menschen, um ihre Wohlfahrt, ihre Fähigkeit zu einem guten Leben, die Möglichkeiten, sich zu entwickeln und autonom zu entfalten, ist von nun an nicht mehr Aufgabe der Politik. Die ethische Dimension der Politik, die Pflicht zum guten Regieren schwindet.
Sich angesichts dieser Lage in apokalyptische Szenarien hineinzuträumen, um dem gegenwärtigen Zynismus zu entkommen, ist nur eine der Verführungen, mit der T.I.N.A uns versucht zu unterwerfen. Wir werden uns wohl sehr anstrengen müssen, einen Raum zu schaffen, in dem wir die Frage nach einem guten Leben neu stellen können. Der in Turin lebende italienische Philosoph Giovanni Leghissa hat für die Vierte Welt und das Ensemble Lubricat einen Text geschrieben, der in drei Variationen inszeniert wird. „Im Toten Winkel“ ist eine Performance-Reihe der Vierten Welt, die kritische Philosophie auf die Bühne bringt.
Giovanni Leghissa, geb. 1964 in Triest, studierte Philosophie an der Universität Triest. Studienaufenthalte in Wien, Kassel und Paris. Lehrtätigkeit in Wien (1998-2002), Triest (2003-2006), Udine (2007-2009), und Karlsruhe, wo er als Gastprofessor an der Staatliche Hochschule für Gestaltung tätig war (2009-2010). Seit 2010 Ricercatore Confermato am Institut für Philosophie der Universität Turin, Italien.
Seit 1994 Mitglied der Redaktion der Zeitschrift “aut aut”. Er hat Werke von Husserl, Derrida, Blumenberg, Overbeck, de Certeau und Hall herausgegeben.
Unter seinen Publikationen: L’evidenza impossibile. Saggio sull’immaginazione in Husserl (1999), Il dio mortale. Ipotesi sulla religiosità moderna (mit einem Nachwort von G. Vattimo, 2004), Il gioco dell’identità. Differenza, alterità, rappresentazione (2005), Incorporare l’antico. Filologia classica e invenzione della modernità (2007) Neoliberalismo. Un’introduzione critica (2012), Die Verfirmung der Gesellschaft (2014)
Forschungsschwerpunkte: Phänomenologie, Epistemologie der Kultur- und Geschichtswissenschaften, Psychoanalyse, Postcolonial und Cultural Studies, interkulturelle Philosophie.
Von und mit
Mariel Jana Supka und Marcus Reinhardt | Ausstattung Romy Kiesling und Veronica Wüst
Regie Dirk Cieslak | Dramaturgie Annett Hardegen
Eine Lubricat [at] Vierte Welt Kollaborationen Produktion
Gefördert durch den Regierenden Bürgermeister von Berlin – Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten und durch die Konzeptionsförderung des Fonds Darstellende Künste e.V. aus Mitteln des Bundes.
Übung 1 | Juni 2014
Übung 2 | Nov. 2014
Übung 3 | Feb. 2015
20.Feb. 2015 | Giovanni Leghissa im Gespräch
Der Ursprung der Revolution oder den Neoliberalismus mit den eigenen Waffen bekämpfen
Serie 2 | November 2013 – Mai 2014
Maurizio Lazzarato | Der verschuldete Mensch
Schuldenökonomie und Existenz
Serie 1 | Mai – November 2013
Alain Brossat | Einem Menschen, der sein Leben gegen eine Macht setzt, kann man keine Vorschriften machen
Eine Genaologie des Plebs