Gespräch

 

Fr. 06.05.22  |  18:00 – 22:00

Mit Wolfgang Brauneis (Kurator*in der Ausstellung „Die Liste der Gottbegnadeten Künstler im DHM“, Alina Brehm (Sozialpsycholog*in), Philipp Krüpe (Architekturkollektiv „Rechte Räume“), Dominik Rigoll (Historiker*in), Sonja Smolenski (Boykott deutsche Leidkultur, Sozialwissenschaftler*in)

Wenn man in die deutsche Nachkriegsgesellschaft schaut, wird es gruselig: In fast allen gesellschaftlichen Feldern sind die faschistischen Kontinuitäten nach 1945 erheblich. Von Straßennamen und Denkmälern angefangen über während des Nationalsozialismus durch Zwangsarbeit erwirtschafteten und geraubten Reichtums bis hin zu Vertretern zentraler gesellschaftlicher Institutionen (Politik und Verwaltung, Gerichtswesen, Verfassungsschutz, Polizei, Universitäten, Kunstinstitutionen, etc. pp).

In den Familien, im privaten Raum, wurde das Erbe ebenso weitergegeben. Schuld, Scham, aber auch versteckte, kryptoisierte Triumpfgefühle wurden in Form von transgenerationalen Gefühlserbschaften an die nächste und übernächste Generation übertragen. Auch hier zeichnet sich ein an vielen Stellen erschreckendes Bild: Schweigen oder das Erfinden von alternativen Familiengeschichten prägen die private Aufarbeitung. Generell war man als Deutsche*r nach 1945 in der eigenen Wahrnehmung plötzlich ganz schnell Opfer des Krieges, die Haltung war die Erfindung einer passiven Erduldung des Nationalsozialismus. Wie wirkt sich eine solche Derealisierung auf das gesellschaftliche Gesamtbild aus? Wie war das möglich? Wie wirkt sie durch die Generationen hinweg ins Heute hinein? Wie hat sich die Nachkriegsgesellschaft in die von heute verwandelt, welche Transformationen sind dabei passiert? Kann es sein, dass das nicht aufgearbeitete Erbe auf allen Ebenen ein Nährboden für aktuelle rechte Täter:innenschaft ist? 

In dem offenen Gesprächsformat wird jede/r der Gäste:innen zunächst Einblicke in ihren/seinen jeweiligen Bereich geben, um dann in einem nächsten Schritt gemeinsam Verbindungen zu ziehen und Zusammenhänge zu verstehen. Es geht um das Gesamtbild einer Gesellschaft, die tief verstrickt ist und bis heute Tatsachen verdreht oder leugnet. Sozialpsychologische Analysen werden dabei zu politischen Fragen.

Moderation/Gastgeber*in: Elisa Müller

 

Teilnehmer*innen:

Wolfgang Brauneis, Jahrgang 1971, ist Kunsthistoriker*in, Mitbetreiber*in des Kölner Plattenladens A-Musik und zusammen mit der Künstler*in Tim Berresheim Initiator*in der unabhängige Recherche- und Publikationsplattform Institut für Betrachtung (IFB). Zurzeit hat er eine Gastprofessur an der Kunstakademie Münster inne. Er ist Kurator*in der Austellung „Die Liste der “Gottbegnadeten”. Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik im Deutschen Historischen Museum 2021.“

 

Alina Brehm ist Soziolog*in und Erziehungswissenschaftler*in. Sie hat an der Goethe-Universität Frankfurt studiert und ist aktuell Universitätsassistent*in im Arbeitsbereich Biographie, Bildung und Gesellschaft am Institut für Bildungswissenschaft der Universität Wien. Sie ist Mitherausgeber*in des Sammelbandes „Reflexivität und Erkenntnis. Facetten kritisch-reflexiver Wissensproduktion“. 2021 erschien von ihr „Repräsentanzen der Shoah – Über ein Café für Überlebende und die Gegenwart der Vergangenheit“. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Qualitative Methoden der Sozialforschung (insbesondere Tiefenhermeneutik und Biographieforschung), Nachwirkungen des Nationalsozialismus, Antisemitismusforschung, Erkenntniskritik und politische Sozialisation.

 

Philipp Krüpe studierte Architektur mit dem Schwerpunkt Kulturtheorie an der TU München und der Politechnika Krakowska. Er ist Architekt*in in Berlin und arbeitet zudem zu architektur- und stadtpolitische Themen, unter anderem für Baumeister und die Bundeszentrale für politische Bildung. Er forscht aktuell zum Verhältnis von rechter Ideologie und Architektur und war maßgeblich an der Konzeption und Umsetzung der ARCH+ Publikation „Rechte Räume“ beteiligt.

 

Dominik Rigoll ist Historiker*in am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) und Mitbegründer des Zeithistorischen Arbeitskreises Extreme Rechte (ZAER). 2013 erschien seine Dissertation „Staatsschutz in Westdeutschland: Von der Entnazifizierung zur Extremistenabwehr“. Er arbeitet zur Zeit an diesen beiden Projekten: “Nationalistische Parteien in deutschen Volksvertretungen 1945-2004” und “Die Ordnung des Herrschaft. Deutsche Innenminister 1898-1989”. Seine Forschungsschwerpunkte sind Staats- und Verfassungsschutz, Deutschland und Westeuropa im 19. und 20. Jahrhundert, Bürger- und Menschenrechte, öffentlicher Dienst und Justiz, Nationalismus und Kommunismus, Vergangenheitspolitik und Kalter Krieg sowie deutsch-deutsche Verflechtungen und Vergleiche.

 

Sonja Smolenski (Boykott Deutsche Leidkultur) ist Sozialwissenschaftler*in und macht derzeit ihren Master in Politik. Sie ist Mentee bei den neuen deutschen Medienmacher*innen und schreibt neben dem Studium u.a. für die taz. Gemeinsam mit dem migrantischen Recherchenetzwerk “Boykott deutsche Leidkultur” (@boycott_dl) veröffentlicht sie online Beiträge zu kolonialen, antisemitischen und rassistischen Kontinuitäten deutscher Unternehmen

Die Veranstaltung “Menschen mit Nazi-Hintergrund” wird von der Bundeszentrale für politische Bildung gefördert.

Trauma – rechte Zukunft / deutsche Geschichte(n) ist ein Projekt des Instituts für Widerstand im Postfordismus und der Vierten Welt, gefördert durch die Senatsverwaltung für Kultur und Europa und dem Bezirksamt Friedrichshain- Kreuzberg.

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