Workshop

Sa. 08.10.22  |  11:00 – 13:00

Im Rahmen von Clouds On Clear Sky
Eine Reihe von Performances und Veranstaltungen rund um Endlichkeit, Tod und Trauer

Treffpunkt / meeting point: Kapelle im Alter St.-Matthäus-Kirchhof (Nähe S-Bahnhof Yorkstraße/Großgörschenstraße)

 

Für viele, die an den Folgen von AIDS verstarben oder sich für die Belange queerer Menschen einsetzen, wurde der Alte St. Matthäus-Kirchhof Mitte der 1980er Jahre Ort der letzten Ruhe. Entlang älterer und neuerer Gräber erzählt der Kunsthistoriker Jörg Kuhn über die Geschichte(n) des Friedhofs.

Er liegt nahe des S-Bahnhofs Yorckstraße, etwas versteckt am Ende einer Sackgasse. 1856 angelegt, war der Alte St. Matthäus-Kirchhof lange bevorzugter Beisetzungsort für die „Geheimräte“, Unternehmer*innen und Künstler*innen der damals als Nobelviertel bezeichneten ‚Unteren Friedrichsvorstadt‘. Nach einer teilweisen Beräumung und Umbettung der Gräber im Zuge der Bauplanungen für die Reichshauptstadt Germania 1938/39 und der Zerbombung des Viertels wenige Jahre später, verlor der Friedhof seine ehemalige Bedeutung und verschwand aus der gesellschaftlichen Wahrnehmung. Circa Mitte der 1980er Jahre wurde er von der schwul-lesbischen Community rund um den Nollendorfplatz wiederentdeckt. Für viele, die an den Folgen von AIDS verstarben oder sich für die Belange queerer Menschen einsetzen, wurde der Kirchhof Ort der letzten Ruhe. Ihre Versuche konventionelle Abschiedsfeiern und Trauerrituale zu verändern, stießen eine bis in die Gegenwart reichende Offenheit für neue Formen der Bestattung an. Dabei war dieser Transformationsprozess kein einfacher. An der Frage, wer wen wie begräbt, vor allem wenn Angehörige unbedingt ein Coming Out als Eltern, Kinder oder Geschwister von Schwulen, Lesben und Aids-Toten vermeiden wollten, zeigte sich die diskriminierende gesellschaftliche Haltung und Politik gegenüber queeren Identitäten und Sexualitäten. Anhand einiger wichtiger alter und neuerer Grabstätten erzählt der Friedhofshistoriker Jörg Kuhn die Geschichte eines „Außenseiterfriedhofs“.
Die Teilnahme an der Führung ist umsonst. Wir freuen uns über eine Spende für den Förderverein des St. Matthäus-Kirchhof EFEU e.V.!

Jörg Kuhn, geboren 1961 in Neuwied, studierte Kunstgeschichte, Klassische Archäologie und Germanistik in Bonn und Berlin und promovierte 1994 an der Berliner Freien Universität. Seit 1995 arbeitet er als Gutachter für die Denkmalpflege, seit 2018 ist er als wissenschaftlicher Referent für Denkmalschutz beim Evangelischen Friedhofsverband Berlin Stadtmitte tätig. Jörg ist Mitglied im Vorstand des Fördervereins Jüdischer Friedhof Weißensee und Teil des Beirats der Stiftung Historische Kirchhöfe. Neben der kunstgeschichtlichen Arbeit am und mit dem materiellen Erbe betreut Jörg Kuhn mitunter Projekte an Hochschulen (HTW, Fachbereich Museologie) und ist Autor zahlreicher Publikationen. Zum Alten St. Matthäus-Kirchhof erschien von ihm der Artikel ‚Ein Friedhof als Außenseiter?‘ (Sigrun Caspar (Hrsg.): Außenseiter, konkursbuch 51, Berlin 2013). Eine persönliche Verbindung zum Alten St. Matthäus-Kirchhof hat Jörg durch seine Betreuung des Grabes von Jean Hirt (Schmied, Künstler, Call-Boy), der 1994 im Alter von 26 Jahren an den Folgen von AIDS verstarb. An derselben Stelle sollen in Zukunft auch Jörgs Familie und er selbst begraben werden.

Die Führung über den Alten St. Matthäus-Kirchhof findet in Kooperation mit dem Förderverein EFEU e.V. und der Friedhofsverwaltung der 12-Apostel-Gemeinde statt. Als Teil der Wiederaufnahme des Projekts CLOUDS ON CLEAR SKY ist sie finanziert durch die Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa.

 

english

For many who died from AIDS or who were committed to the concerns of queer people, in the mid-1980s the Alter St. Matthäus-Kirchhof became a place of final rest. Along older and newer graves, art historian Jörg Kuhn tells about the history(ies) of the cemetery.

Located near Yorckstraße S-Bahn station, the place we visit is somewhat hidden at the end of a dead-end street. Established in 1856, the Alter St. Matthäus cemetary was a longtime favorite burial place for the “secret councillors,” entrepreneurs, and artists of the lower Friedrichsvorstadt, at that time known as a noble district. After partial clearing and relocation of the graves in the course of the construction plans for the Reichshauptstadt Germania in 1938/39 and after the bombing of the neighborhood a few years later, the cemetery lost its former significance and disappeared from social perception. Around the mid-1980s, it was rediscovered by the gay and lesbian community around Nollendorfplatz. For many who died of AIDS-related illnesses or who advocated for queer causes, the churchyard became a place of final rest. Their attempts to change conventional farewell ceremonies and mourning rituals sparked an openness to new forms of burial that continues into the present. Yet this transformation process was not an easy one. The question of who buries whom and how, especially when relatives were desperate to avoid coming out as parents, children, or siblings of gays, lesbians, and those who died of AIDS, revealed discriminatory social attitudes and policies toward queer identities and sexualities. Looking at some important old and newer gravesites, cemetery historian Jörg Kuhn tells the story of an “outsider’s cemetery.” The tour is in German and free of charge. We appreciate a donation for the Förderverein des St. Matthäus-Kirchhof EFEU e.V.!

Jörg Kuhn, born 1961 in Neuwied, studied art history, classical archaeology and German language and literature in Bonn and Berlin and received his PHD from the Freie Universität Berlin in 1994. Since 1995, he has worked as an assessor for the preservation of historical monuments. Since 2018 he has been working as a scientific expert for the preservation of historical monuments at the Evangelische Friedhofsverband Berlin Stadtmitte. Jörg is a board member of the Förderverein Jüdischer Friedhof Weißensee and part of the advisory board of the Stiftung Historische Kirchhöfe. In addition to his art historical work on and with the material heritage, Jörg Kuhn sometimes supervises projects at universities (HTW, Fachbereich Museologie) and is the author of numerous publications. On the Alter St. Matthäus-Kirchhof, he published the article “Ein Friedhof als Außenseiter?” (Sigrun Caspar (ed.): Außenseiter, konkursbuch 51, Berlin 2013). Jörg has a personal connection to the Alter St. Matthäus-Kirchhof through his care of the grave of Jean Hirt (blacksmith, artist, call-boy), who died in 1994 at the age of 26 due to an HIV infection. On this same spot, Jörg’s family and he himself will be buried in the future.

This tour happens in cooperation with EFEU e.V. and the administration of the cemetery. As part of the project CLOUDS ON CLEAR SKY, it is funded by the Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa.

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