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Den (ganzen) Kapitalismus verstehen

Zur Theorie der sozialen Reproduktion. Mit David McNally

 

Prof. David McNally (York University, Kanada) führt in die Theorie der marxistischen Reproduktion ein, um ein zeitgemäßes marxistisches Verständnis von Unterdrückung und Ausbeutung zu entwickeln.

Mi. 12.09.18 

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Wir leben in einer Welt, die so komplex erscheint, dass wir sie kaum noch begreifen können. Steigende Mieten, niedrige Löhne, Rechtsruck und Naziaufmärsche, Klimakatastrophen, Landraub, Bankenkrisen, Kriege, sexistische Unterdrückung – lässt sich das alles in Worte fassen, geschweige denn in einen Zusammenhang bringen? Vor mehr als 100 Jahren hat Karl Marx den Grundstein für eine Theorie des Kapitalismus gelegt. Und doch war schon Marx selbst klar, dass es weiterer Begriffe bedürfen würde, um der Komplexität der kapitalistischen Gesellschaft gerecht zu werden. Es gilt also, die Ideen von Karl Marx immer weiter zu entwickeln und sie den veränderten Umständen anzupassen.

Lässt sich anschließend an Marx der Kapitalismus von heute zufriedenstellend verstehen? Werden wir den Problemen dieser Gesellschaft so überhaupt gerecht?

David McNally, Professor und Aktivist aus Houston (USA), hat es sich zur Aufgabe gemacht, diesen Fragen nachzugehen. Insbesondere beschäftigt ihn die Frage, wie eine marxistische Theorie des Kapitalismus nicht nur „die Ökonomie“, sondern auch Sexismus oder Rassismus erklären kann. Der interessanteste Versuch so einer Erweiterung des Marxismus ist, so McNally, die Theorie der sozialen Reproduktion, mit der wir den Kapitalismus als Ganzes verstehen – und letztlich überwinden – können.

Was ist die Theorie der sozialen Reproduktion? Nach Marx dreht sich das meiste im Kapitalismus um die Produktion von Wert, der von den arbeitenden Menschen hergestellt wird. Die Theorie der sozialen Reproduktion stellt jedoch eine entscheidende Folgefrage: Wo werden eigentlich diese  Arbeiter_innen, die für den Kapitalismus die Quelle der Wertproduktion sind, selbst produziert? Widmen wir uns dieser Frage, erblicken wir plötzlich ein weitaus breiteres und vielschichtigeres Bild des Kapitalismus: Es werden solche Prozesse sichtbar und als für den Kapitalismus unabdingbar erkennbar, wie das Gebären und Großziehen von Kindern, ihre Erziehung, die Versorgung von Alten und Kranken, Kochen, Waschen usw. Sie alle stellen die Bedingung her, dass überhaupt eine ausbeutbare Arbeiter_innenklasse dem Kapitalismus zur Verfügung steht. Zugleich fällt auf, dass sie heute maßgeblich von Frauen und Migrant_innen übernommen werden, was uns wiederum hilft Antworten auf Problematik der Unterdrückung der Frau sowie rassistische Unterdrückungen zu finden .

Die Theorie der sozialen Reproduktion hilft uns, das weite Feld der Reproduktion zu verstehen, indem sie dieses in die marxistischen Kapitalismuskritik einordnet. Sie schafft es dadurch, das Verhältnis von Ausbeutung und Unterdrückung neu in den Blick zu nehmen. In unserer Veranstaltung wird David McNally die Grundideen seiner Erweiterung des Marxismus und der Theorie der sozialen Reproduktion vorstellen.

Understanding (all of) capitalism.

On Social Reproduction Theory.

With David McNally

Our world seems to be complex beyond comprehension. Rising rents, declining wages, a strengthening of right-wing and even fascist worldviews, climate catastrophes, banking crises, wars, sexist discrimination – are we even able to articulate concepts for all these phenomena, let alone find connections between them? More than 100 years ago, Karl Marx developed the foundation for a theory of capitalism. And yet, even to him it was clear that further concepts would have to be developed in order to grasp capitalism in its full complexity. It is up to us to continue developing further Marx’s ideas and adapt them to our current reality.

Can we sufficiently understand today’s capitalism following Marx? Does Marx help us to live up to the challenges of our society?

David McNally, professor and activist in Houston (USA) aims to answer these questions. He is particularly interested in developing Marxist theory beyond the boundaries of „the economy“ and use it to also explain racist and sexist oppression. The most promising expansion of Marxism along these lines is Social Reproduction Theory, which helps us to understand – and ultimately overcome – capitalism as a whole.

What is Social Reproduction Theory? According to Marx, capitalism is oriented towards value, which is produced by workers. Social Reproduction Theory asks the crucial follow-up question: Where then are these workers themselves produced? In answering this question, our understanding of capitalism becomes more broad and complex: Giving birth to and educating children, caring for the elderly and sick, cooking, washing etc. now appear as processes necessary for capitalism. They all constitute the preconditions for the existence of a working class exploitable by capitalism. We also realize that this work is done mainly by women and migrants, which helps us to understand racist and sexist oppression. Social Reproduction Theory provides us with the tools to understand this sphere of reproduction by contextualizing it within a marxist critique of capitalism. It thus sheds new light on the relation of exploitation and oppression. At our event, David McNally will present the main ideas of Social Reproduction Theory and his own thoughts on an expansion of Marxist theory.

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