Vierte Welt | Kollaboration
Angst machen – Platz nehmen
Frei nach Adam Curtis, The Power of Nightmares
Premiere 20.September 2012
_DE
von und mit Judith van der Werff | Darstellerin & Zeichner Daniel Freymüller
Regie Dirk Cieslak | Dramaturgie Annett Hardegen | Ausstattung Sabina Moncys | Künstlerische Mitarbeit | Images: Jan Lazardzig, Chicago | Video Jan Bachmann | Mitarbeit Eugen Bergmann | Technik Florian Guist
Eine Produktion von Lubricat [at] Vierte Welt in Kollaboration mit 123Comics
Gefördert durch den Regierenden Bürgermeister von Berlin – Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten
Gefördert durch die Konzeptionsförderung des Fonds Darstellende Künste e.V. -aus Mitteln des Bundes
Ein Märchen!
Es war eine Zeit, in der verloren die Untertanen Jahr um Jahr mehr den fröhlichen Glauben an die leuchtenden Visionen, die der König für sie ausmalen ließ, um seiner Herrschaft, Würde und Ansehen zu verleihen. Da musste sich der König etwas Neues für seine Untertanen einfallen lassen. Also rief er die Prinzen und Prinzessinnen, die Höflinge, die Weisen, die Generäle und die Narren seines großen Reiches zusammen. Zur selben Zeit begab es sich, dass in den fernen Gebieten seines Reichs, die Hexe Baba Ja Ga mit einer Bande williger Taugenichtse ihr böses Unwesen trieb…
In Angst machen – Platz nehmen wird von einer Schauspielerin und einem Live-Zeichner eine kleine Geschichte des Kriegs gegen den Terror erzählt, frei nach Adam Curtis preigekrönter BBC Dokumentarfilmreihe: The Power of Nightmares. Adam Curtis erzählt mit sugestiven Bildern vom Irrsinn einer Politik der Angst, in einer Zeit, in der die Visionen und Utopien ihre Kraft verloren haben.
daraus ein reales Ereignis zu machen. Ein Übermaß an Gewalt genügt nicht, um zur Realität zu gelangen. Denn die Realität ist das Prinzip, und es ist dieses Prinzip, das wir verloren haben. Reales und Fiktion sind untrennbar miteinander verbunden, und die Faszination des Attentats ist in erster Linie eine Faszination durch das Bild (die zugleich triumphierenden und katastrophalen Konsequenzen sind ebenfalls im weitesten Sinne imaginär). In diesem Fall also addiert sich das Reale zum Bild wie eine Schreckensprämie, wie ein zusätzlicher Schauder. Es ist nicht nur schrecklich, sondern zusätzlich auch noch real. Nicht die Gewalt des Realen ist zuerst da, gefolgt vom Schauder des Bildes, sondern umgekehrt: Zunächst ist das Bild da, dem der Schauder des Realen folgt. Gleichsam eine zusätzliche Fiktion, eine Fiktion, die die Fiktion übertrifft. Auf diese Weise sprach Ballard (wie Borgès berichtet) von der Neuerfindung des Realen als der letzten und schrecklichsten Fiktion.
Diese terroristische Gewalt ist also weder eine rückstoßartige Widerkehr der Realität noch eine der Geschichte. Diese terroristische Gewalt ist nicht “real”. In diesem Sinne ist sie schlimmer: Sie ist symbolisch. Gewalt an sich kann vollkommen banal und harmlos sein.
Nur symbolische Gewalt vermag Singularität zu erzeugen. Und so findet man in diesem singulären Ereignis, in diesem Katastrophenfilm aus Manhattan in höchstem Maße die beiden Phänomene der Massenfaszination des 20. Jahrhunderts vereint: die weiße Magie des Kinos und die schwarze Magie des Terrorismus. Das weiße Licht des Bildes und das schwarze Licht des Terrorismus.
Man versucht, dem Ereignis nachträglich irgend einen Sinn beizulegen, irgendeine Interpretation dafür zu finden. Die aber gibt es nicht, und so bleibt das einzige ursprüngliche und irreduzible Gegebenheit die Radikalität und Brutalität des Spektakels. Das Spektakel des Terrorismus zwingt uns den Terrorismus des Spektakels auf. Und gegen diese unmoralische Faszination (auch wenn sie eine universelle moralische Reaktion auslöst) vermag die politische Ordnung nichts auszurichten. Das ist unser Theater der Grausamkeit, das einzige, das uns noch bleibt …
Aus Der Geist des Terrorismus, Jean Baudrillard, S. 30-33, Passagen Verlag, Wien 2002