Anna-Lena Werner & Elisa Müller / Institut für Widerstand im Postfordismus
Mit #4 Narrative: Fiktion und Irritation stehen im Oktober diffuse Effekte, die Traumata im individuellen und kollektiven Erleben verursachen, im Fokus: Wir wollen über transgenerationale Weitergaben und die damit verbundenen Affekte von Heimsuchung, Zirkulation und Wiederkehr sprechen.
Sa. 26.10.24 | 15:00 – 19:30
„On(going) Trauma“ öffnet in 6 Veranstaltungen gemeinsam mit Ko-Kurator*innen, Gäst*innen und den anwesenden Teilnehmer*innen einen Raum, um aus pluralen Perspektiven über künstlerische Forschungspraktiken im Umgang mit Trauma zu sprechen und von ihnen zu lernen. Vorgestellt werden künstlerische und kuratorische Praktiken, in denen situiertes Wissen und Hintergründe systematischer Macht- und Gewaltstrukturen diskutiert, aktivistische und marginalisierte Perspektiven beleuchtet werden.
Mit #4 Narrative: Fiktion und Irritation stehen im Oktober diffuse Effekte, die Traumata im individuellen und kollektiven Erleben verursachen im Fokus: Wir wollen über transgenerationale Weitergaben und die damit verbundenen Affekte von Heimsuchung Zirkulation und Wiederkehr sprechen, bei der stets Überschreitungen zwischen privaten und öffentlichen Räumen stattfinden. Wir wollen uns für das nicht sofort Verstehbare öffnen, einerseits in der Auseinandersetzung mit der Beschaffenheit von Traumata und ihren Folgereaktionen (als nicht sofort erkenn- oder einordbar), und andererseits im Kontext von künstlerischen Handschriften, die auf affektive Resonanzräume abzielen.
Wir fokussieren uns auf eine Kernidee der Reihe, nämlich die Frage, wie und was wir von künstlerischen Zugriffen auf Traumata und Gewalt in Bezug auf den gesamtgesellschaftliche Umgang mit und für das Verstehen von gewaltvollen Vergangenheiten lernen können:
Wie müssen wir (über) Geschichte (nach)denken, wenn sich alles (in Variationen) wiederholt, wenn Traumata oder nicht aufgelöste Vergangenheit zirkulieren?
Was bedeutet es, wenn wir aus dieser Perspektive den gegenwärtigen Krisen begegnen, was bietet es für Handlungsmöglichkeiten?
Denn mehr denn je wird aktuell deutlich: Das normative Verständnis darüber, dass die moderne Gesellschaft eine sei, in der sich die Welt mehr und mehr zu einer pazifizierten Zone entwickelt, ist ein fiktionales Trugbild. Dabei liegen die Schatten der Vergangenheit, etwa die Kolonialgeschichte mit ihren rassistisch motivierten und systematischen Unterdrückung- und Ausbeutungsmechanismen, wie eine ‚Geistergeschichte’ (Fabian Bernhardt) über unseren Gesellschaften. Sie fordert uns auf, uns dem Nachleben einer Vergangenheit zu stellen, die auch als verdrängte keine Ruhe gibt. Unsere Auseinandersetzung mit dem Begriff Trauma kann als symptomatisch dafür verstanden, welche Position Gewalt in unseren modernen Gesellschaften einnimmt: Alle Wege aus der Gewalt scheinen noch tiefer in sie hinein zu führen. Was bedeutet das für eine produktive Auseinandersetzung mit der Gewalt? Kann es eine solche geben? Wie kann die von und mit künstlerischen Praktiken aussehen?
von und mit: Lene Albrecht, Fabian Bernhardt, Elisa Müller, Hai Anh Trieu (Kurzfilm: „I loved first“), Shira Wachsmann (Film: „the moment before“), Anna-Lena Werner, u.a.
Awareness: Mine Pleasure Bouvar
Lene Albrecht, geboren in Berlin, studierte Kulturwissenschaften in Frankfurt (Oder) und am Literaturinstitut Leipzig. 2019 erschien ihr Debütroman »Wir, im Fenster«. 2024 folgte mit »Weiße Flecken« eine Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialvergangenheit und den Leerstellen in Geschichte(n) als Roman. Mit Simoné Goldschmidt-Lechner schrieb sie für zeit online einen Text zum Thema Heimsuchungen. Aktuell arbeitet sie mit dem Verein ASSOCIATION TOGOLAISE DES EXPULSES an einem Hörspiel zu den Rückständen der deutschen Gewaltherrschaft in Togo und Deutschland. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Europa-Universität Viadrina.
Fabian Bernhardt, 1981 in Saudi-Arabien geboren und in Deutschland aufgewachsen als Sohn einer brasilianischen Mutter, hat Philosophie, Ethnologie und Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft studiert. 2018 promovierte er sich am Philosophischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er zurzeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Sonderforschungsbereich »Affective Societies« forscht.
In seinem Essay „Zum affektiven Nachleben kolonialer Gewalt. Eine Geistergeschichte“ schreibt er über das affektive Nachleben des Kolonialismus.
2021 hat er „Rache. Über einen blinden Fleck der Moderne“ bei Matthes & Seitz veröffentlicht.
Elisa Müller studierte Schauspiel und Theaterwissenschaft. Sie arbeitet als Performerin, Regisseurin, Kuratorin und Dozentin. Sie ist Mitinitiatorin der Reihe „On(going) Trauma“. In ihrer künstlerischen und kuratorischen Praxis interessiert sie sich für nicht zu bewältigende, bzw schwer zu bewältigen Szenarien, Strukturen der Ohnmacht und Zusammenhänge, die uns bedrohen und beunruhigen, so zum Bespiel Weltuntergangsszenarien im Zusammenhang mit der Klimakatastrophe, oder die Wiederkehr von traumatischen Vergangenheiten im Zusammenhang mit gegenwärtigen faschistischen Bedrohungen. In der kuratorischen Praxis spielt zudem das Eingehen ungewöhnliche Verbindungen eine Rolle, der Versuch, Akteur:innen aus unterschiedlichen Szenen und diverser Hintergründe und ästhetischer Handschriften (etwa Metropole und der ländliche Peripherie) miteinander in Kontakt zu bringen und u.a. die Theatergewohnheiten der lokalen Publika zu erweitern.
Seit 2017 vertiefte Auseinandersetzung mit den Folgen von rechter Täter*innenschaft und ihren gesellschaftlichen Nachwirkungen und Wiederholungsreflexen, u.a. in Form von partizipativen Bürger*innenprojekten wie “Heimat hoch3“ (2018), „Demmin, oh du mein Demmin“ (2021/22), oder kuratorischen Reihen wie „Trauma – rechte Zukunft/deutsche Geschichte(n)“ (2022), und performativen Arbeiten wie Böse Déjà-vus, in denen insbesondere die Suche nach einer ästhetischen Ausdrucksweise der unterschwelligen, subtilen Unruhe (Irritation), nach Dramaturgien des Unheimlichen eine Rolle. Dabei wird auch die Frage aufgeworfen, welche Produktivität darin liegen könnte, Kunst prinzipiell als etwas „Irritierendes“ zu denken.
2023 hat sie ein NETZWERK-FORMAT zwischen Künstler*innen und Spielstätten im ländlichen Raum und Metropolen initiiert, u.a. mit Ute Gröbel / hochX München, Daniela Aue / Spielwerk Ansbach , Annett Hardegen / Vierte Welt Berlin, Melanie Seeland / die Andere Weltbühne Strausberg, Christiane Huber / Künstlerin München, Elisa Müller / Künstlerin Berlin, das vom Nationalen Performance Netz gefördert wird. Zudem hatte sie mit „Deep Time – Slow Violence“ eine Residenz am Staatstheater Braunschweig, eine Weiterführung des Projekts entstand in Kooperation mit die Andere Welt Bühne Strausberg und ist von Fonds Daku gefördert. 2022 kuratierte sie gemeinsam mit Annett Hardegen die Kunst- und Diskurs-Reihe „Trauma – rechte Zukunft/deutsche Geschichte(n)“, die von der spartenoffenen Förderung der Senatskanzlei Berlin, der Bundeszentrale für politische Bildung und dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg gefördert wurde. In diesem Rahmen entstand außerdem die Performance „Böse Déjà-vus“, die vom Fonds Darstellende Künste gefördert wurde. Zudem erhielt sie 2021 ein Stipendium vom Berliner Senat für eine Recherche mit Marianne Ramsay Sonneck vom Club Real und eines vom Fonds Darstellende Künste für ihre eigene Arbeit.
Seit 2014 Arbeit unter dem Label Institut für Widerstand im Postfordismus, zuvor gründete sie 2008 das Theaterlabel müller*****.
Hai Anh Trieu ist eine vietnamesisch-deutsche Filmemacherin und Performance-Künstlerin, die in Berlin lebt. Als Kind ehemaliger vietnamesischer Vertragsarbeiter in der Tschechoslowakei und späterer Flüchtlinge im wiedervereinigten Deutschland beschäftigt sie sich in ihrer Arbeit mit diasporischen Erfahrungen, Vertreibung und generationenübergreifenden Dynamiken und Strukturen von Familien. Sie ist besonders daran interessiert, die Produktionsbedingungen ihrer eigenen Arbeit aus einer kritischen und anti-dekolonialen Perspektive zu reflektieren und in den kreativen Prozess zu integrieren. Als Regieassistentin arbeitete sie an dem Spielfilm NEUBAU (2020) mit, der seine Premiere auf dem Max Ophüls Film Festival feierte und dort als “Bester Film” und “Sozialrelevantester Film” ausgezeichnet wurde. Ihr erster Kurzfilm I Loved You First (2022) lief ebenfalls beim Max Ophüls Film Festival im Kurzfilm Wettberweb. Als Stipendiantin des Berliner Senats Künstlerinnen Film und Video Programms schreibt sie im Moment an ihrem neuen Drehbuch ihres Debütfilms. Seit 2020 ist sie im Vorstand des Vereins NAAS Network of Arab Alternative Screens.
Ihr Film “I Loved You First” handelt von einem Versuch der transgenerativen Erinnerungsarbeit. Wie erinnern, überliefern, verarbeiten Menschen ihre Biographien und wie werden diese im Laufe der Zeit umgeschrieben? In welchen Formen tauchen Traumata in der Gegenwart auf und beeinflussen unser Handeln und unsere Beziehungen zueinander? Und wie kann der Traumabegriff wieder repolitisiert werden?
Shira Wachsmann (1984 in Tel Aviv geboren, lebt in Berlin und London) ist Künstlerin und Forscherin, die in den Bereichen Bewegtbild, Collage, Zeichnung, Augmented Reality sowie in der digitalen und elektronischen Kunst arbeitet. Wachsmanns Ansatz nimmt eine sinnliche und poetische Form an, oft nicht-linear, kollektiv und mit einem Schwerpunkt auf zeitgenössischen Themen unserer Zeit; Politisch, post-anthropozän, menschlichen-interspezies-maschinellen Evolution, durchzogen von Krieg, Sexualitäten und Hoffnung. Kürzlich schloss sie ihre praxisorientierte Promotion mit dem Titel Landscape, War Trauma, Explosion: Re-membering the Moment Before ab, die die Komplexität von Kriegstraumata untersuchte – wie Traumata unbemerkt in das allgemeine Bewusstsein der Menschen einsickern können; wie sie zirkulieren und das kollektive Bewusstsein (neu) formen und damit die Landschaft der Einzelnen prägen. 2022 war Wachsmann Mitbegründerin von Orbital Bloom, einem bahnbrechenden, datengesteuerten Werk, das es einzelnen Nutzern ermöglicht, emotional mit ihren Umwelt-Räumen in Verbindung zu treten und sie zu beeinflussen. Orbital Bloom wurde von HRM König Charles III. als eines der wichtigsten Kunstwerke für seine Krönung ausgewählt und während des Krönungskonzerts (2023) in voller Höhe auf Windsor Castle projiziert. Derzeit unterrichtet sie Digital Storytelling im Digital Direction Programm am Royal College of Art in London.
Sie nahm an Ausstellungen teil, u.a. bei SPEAKING TO ANCESTORS, Transmediale Berlin (2023); Display Berlin (2019); Kersan Art Foundation und OFCA International Yogyakarta (2018); Kindl – Zentrum für zeitgenössische Kunst (2018); Galerie cubus-m, Berlin (2016); MWW Muzeum Współczesne, Breslau (2015) und Neue Nationalgalerie, Berlin (2014).
Für die dreiteilige Filmreihe A Dream, TankWoman und The Moment Before hat sie Arbeiten geschaffen, die sich mit Trauma als nichtlinearem Erlebnis befassen, das Raum und Zeit umspannt.
Anna-Lena Werner, geboren 1985 in Deutschland, ist Kunst- und Theaterwissenschaftlerin, Autorin und Postdoktorandin am Seminar für Kultur und Medien am Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität Berlin. Sie ist Mitinitiatorin der Reihe „On(going) Trauma“. Sie promovierte mit der 2020 erschienen Studie „Let them Haunt Us. How Contemporary Aesthetics Challenge Trauma as the Unrepresentable.“ Sie betreute kollaborative Forschungsprojekte mit dem Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin oder den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Sie schreibt regelmäßig für verschiedene Magazine, wie Monopol – Magazin für Kunst Leben oder CAPITAL, sowie für Künstler:innenkataloge und wissenschaftliche Publikationen. Werner ist Mitherausgeberin des 2023 bei Spector Books, Leipzig erscheinenden Bandes „Einladung – Archiv als Ereignis.“ Sie kuratierte Ausstellungen und Performance-Reihen, u.a. bei Savvy Contemporary, Blok Art Space, oder dem Archiv Massiv. Für das für das Exzellenzcluster EXC 2020 Temporal Communities organisiert und moderiert sie diskursive Veranstaltungen, Vorlesungsreihen und Vorträge, wie 2022 den Workshop „Counter Narratives and Resilience in Practice: On Decolonial Strategies in Art and Communities” und 2020 die Videoreihe „A Video Series on Performance and Communities“. 2011 gründete sie das Online-Kunstmagazin artfridge.de und betreut es nach wie vor als Redakteurin und Autorin. Sie lebt und arbeitet in Berlin.
Sprache: deutsch
Die sechsteilige Kunst- und Diskursreihe On(going) Trauma ist initiiert vom Institut für Widerstand/Elisa Müller im Postfordismus und Anna-Lena Werner in Kooperation mit Vierte Welt in Berlin, gefördert durch Hauptstadtkulturfonds.
Gesamtkonzept: Anna Lena Werner, Elisa Müller (Institut für Widerstand im Postfordismus)
Ko-Kurator*innen: Mykola Ridnyi, Hai Anh Trieu, Alper Turan, u.a.
With: (tbc) Anujah Fernando, Alper Turan, Dominique Haensell, Hai Anh Trieu, Isaac Chong Wai, İz Öztat, Katharina Ludwig, Lada Nakonechna, Lela Ahmadzai, Luce deLire, Mine Pleasure Bouvar, Minh Duc Pham, Mykola Ridnyi, Natis, Olexii Kuchanskyi, Omer Fast, Rabih Mroué, Rana Eweiss, Shira Wachsmann, Yael Bartana, Zwoisy Mears-Clarke
Awareness: Mine Pleasure Bouvar
Design: Lea Kontak
Press: Nora Gores
Project Assistance: Ariadna Blanch López, Sebastian Eis